Die Wertschätzung von Ressourcen
- Datum
- 1. Oktober 2024
Projektleiterin Clarissa Rhomberg und Projektkoordinator Simon Egger im Interview über die neusten Entwicklungen von ZirkuLIE.
Frau Rhomberg, Herr Egger, was ist das Projekt Zirkulie? Worum geht es dabei, seit wann gibt es dieses?
Clarissa Rhomberg: Das Projekt Zirkulie ist ein dreijähriges Projekt der Stiftung Lebenswertes Liechtenstein mit dem Ziel, das zirkuläre Bauen in Schwung zu bringen. Wir möchten eine Kreislaufwirtschaftsdebatte starten und dabei eine Wissens- und Netzwerkplattform stellen.
Wie gehen Sie dabei vor?
Clarissa Rhomberg: Zu Beginn haben wir eine Auslegeordnung gemeinsam mit den Liechtensteiner Akteuren gemacht und möchten in einem ersten Schritt vor allem auf das Bau- und Baunebengewerbe zugehen. Hier sehen wir den grössten Hebel. Im Grunde haben wir vier Ansätze: Wir wollen vernetzen, sensibilisieren, befähigen und umsetzen in diesem Themenfeld.
Die Kerngruppe besteht aus namhaften Personen aus dem Bau- und Baunebengewerbe in Liechtenstein. Wie konnten Sie diese Fachleute fürs Projekt gewinnen?
Clarissa Rhomberg: Im Vorfeld des Projektes sind wir auf Liechtensteiner Unternehmen zugegangen und haben schnell gemerkt, dass unser Anliegen bei ihnen auf offene Ohren stösst. Nur bisher fehlten die Ressourcen, um so ein Projekt anzustossen und umzusetzen. Wir konnten also in der Folge Vertreter von Unternehmen aus der gesamten Wertschöpfungskette Bau für unser Projekt gewinnen, wofür wir sehr dankbar sind.
Sie möchten die Nachhaltigkeit und Innovation im Bauwesen fördern. Können Sie das kurz erklären?
Clarissa Rhomberg: Bei Zirkulie geht es darum, nachhaltig und effizient mit Ressourcen umzugehen. In einem ersten Schritt möchten wir das Bewusstsein dafür schaffen. Anschliessend suchen wir uns gezielt Projekte aus, die wir als Stiftung unterstützen können, sei es mit Know-how, mit Kontakten oder auch weiteren Ressourcen. Dafür müssen sich die Projekte zirkulären Kriterien verschreiben: Sind sie ressourcenschonend geplant, haben sie einen Liechtenstein-Bezug und möchten sie neue Erkenntnisse generieren? So möchten wir Menschen ermutigen, zu experimentieren und alternative Wege zu gehen.
Es gibt ja bereits ein erstes Projekt, das Sie unterstützen.
Simon Egger: Genau. Über einen Aufruf sind wir auf das Umbauprojekt Domus in Schaan aufmerksam geworden. Es ist das erste Projekt, bei dem wir mit gebrauchten Bauteilen arbeiten und diese wiederverwenden. Über das karitative Projekt «Fenster für die Ukraine», welches wir ebenfalls begleiten, sind wir zu vielen Bauteilen neben Fenstern gekommen – zudem haben wir aktiv eine Bauteiljagd betrieben. Beim Domus konnten wir verschiedenste Materialien wiederverwenden, unter anderem eine Kassettendecke aus einem Abbruchobjekt, aus der eine Wand- und Deckentäferung wird. Ausserdem konnten wir den Bühnenboden aus dem alten Takino ausbauen und als Dielenboden im Domus wieder einbauen. Sie werden so eingesetzt, dass niemand vermuten würde, dass es ein «Re-use» ist. Es ist ein Leuchtturmprojekt dafür, dass man auch aus alten Bauteilen etwas Wunderbares, Neues schaffen kann. Und das Beste ist: Die meisten Bauteile stammen aus Schaan, bleiben also in der Gemeinde.
Clarissa Rhomberg: Dafür haben wir eng mit der Gemeinde, den Nutzern, den Architekten, den Bauunternehmen und Handwerkern zusammengearbeitet und alles gemeinsam entwickelt und abgestimmt.
Simon Egger: Unsere erste Anlaufstelle war dabei die Zirkulie-Kerngruppe sowie weitere Bauleiter und Architekten in unserem Netzwerk. So erfahren wir von Abrissobjekten und Umbauten, in denen gebrauchte Materialien ausgebaut und folglich wieder verwendet werden können. Eine Vielzahl an Materialien lagern wir in unseren Lagerräumen und was wir hier nicht verwenden konnten, können wir für künftige Projekte nutzen.
Die Wertschätzung von Ressourcen ist ein zentrales Thema. Aber bisher steht sie nicht so hoch im Kurs, richtig?
Clarissa Rhomberg: In der Bauwirtschaft sind sich viele bewusst, dass das die Zukunft ist. Besonders, wenn wir nachhaltiger und ressourcenschonender bauen möchten. Das Problem ist, dass viele ökologische Baumaterialien derzeit noch Mehrkosten verursachen. Es braucht ein Umdenken, das bereits in der Planung stattfinden muss. Vor 150 Jahren hat man überall auf der Welt grossteils regionale Ressourcen genutzt, zu diesem Ansatz müssen wir zurückfinden.
Simon Egger: Die Wiederverwendung von Materialien ist schon sehr weit fortgeschritten, aber noch nicht salonfähig. Sie wird noch zu wenig genutzt, bisher nur punktuell oder in kleinem Rahmen. Ein Arbeiter nimmt vielleicht einen schönen Schrank mit nach Hause, bevor ein Objekt abgebrochen wird. Oder er sichert sich intakte Fenster. Wir wollen ein System schaffen, in dem das alles durchdachter und in einem grösseren Umfang betrieben wird.
Clarissa Rhomberg: Dafür braucht es aber Pioniere, wie unter anderem die Mitglieder in unserer Kerngruppe. Und es braucht inspirierende Projekte, die den Menschen aufzeigen, was möglich ist. Nur so können wir informieren und sensibilisieren – und einen Dialog starten. Und wenn wir Menschen für diese Idee begeistern können, wird das zirkuläre Bauen immer attraktiver und vor allem auch günstiger.
Wie möchten Sie in einem weiteren Schritt Ihre Botschaft und Ihr Fachwissen weitergeben?
Simon Egger: Unsere ersten Veranstaltungen richten sich an Experten, wir veranstalten Infoabende und Workshops. Im zweiten Schritt ab dem kommenden Jahr möchten wir uns auch der Öffentlichkeit widmen und alle Interessierten einladen. Aus diesem Grund haben wir uns in einer Halle im Swarovski-Areal eingemietet und eröffnen dort ein Zentrum für zirkuläres Bauen. Wir werden eine Bauteilbörse aufbauen, Ausstellungen anbieten, vermitteln und informieren. Alle sind dort willkommen und können sich mit dem Thema befassen. Es ist sehr spannend, denn jedes Bauteil hat schliesslich auch seine Geschichte.
Welche zukünftigen Projekte stehen bei Ihnen auf der Agenda?
Clarissa Rhomberg: Neben dem Zentrum haben wir weitere Projekte, die wir begleiten, wie ein Mehrfamilienhaus in Vaduz mit privaten Bauherren. Hier werden Daten zu Lebenszykluskosten und Kreislauffähigkeit ermittelt. All unsere Erkenntnisse laufen in eine Entscheidungsmatrix für künftige Bauprojekte, so können wir uns immer weiterentwickeln und spezialisieren. Wer sich über unsere Tätigkeiten informieren möchte, kann gerne den Newsletter auf unserer Website abonnieren.
Interview: Andras Laternser, Bauen+Wohnen; September 2024