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Interview mit Elmar Kindle

Datum
28. November 2023

Elmar Kindle beschäftigt sich als Geschäftsführer und Mitinhaber des Ingenieurbüros Hoch & Gassner nicht nur tagtäglich beruflich mit dem Thema „Zirkuläres Bauen“, sondern ist mit seinem Fachwissen als Ingenieur unter anderem auch Teil der Kerngruppe von ZirkuLIE. Im folgenden Interview gibt er Einblicke in seine persönlichen Erfahrungen und wie er aktuelle und zukünftige Entwicklungen einschätzt.

Wann bist Du persönlich das erste Mal mit dem Thema Zirkularität in Berührung gekommen?

Schon sehr früh. Ich erinnere mich konkret an meine erste Zeit am Bau, als einmal die Frage auftauchte, was man mit den am Bauplatz ausgegrabenen Wurzelstöcken machen soll: wieder verwerten oder auf die Deponie bringen? Die Thematik ist mir persönlich also sicher schon seit rund 30 Jahren bekannt, nur hatte man damals nur am Rande damit zu tun. Heute begegnet mir das Thema regelmässig in meinem Arbeitsalltag.

Apropos heutige Arbeit: Du bist neben Deiner Tätigkeit als Geschäftsführer des Ingenieurbüros Hoch & Gassner unter anderem auch Mitglied der Kerngruppe des Kompetenzzentrums ZirkuLIE. Was ist Deine Motivation, Dich für das Thema „Zirkuläres Bauen“ zu engagieren?

Man sollte nicht immer nur von Ressourcenschonung, Umweltschutz und Nachhaltigkeit reden, sondern auch etwas dafür tun. Durch das Engagement bei ZirkuLIE versuche ich nicht nur dort meinen Beitrag zu leisten, sondern ich lebe das Thema auch im eigenen Unternehmen. So weise ich in meinem Betrieb regelmässig darauf hin, wo man mehr recyclen, alternative Produkte verwenden oder umwelt- und naturschonender bauen könnte. Unser Anliegen ist es auch, unsere Kunden auf das Thema „Zirkuläres Bauen“ hinzuweisen und sie dafür stärker zu sensibilisieren.

Du bist auch im Vorstand der Liechtensteinischen Ingenieur- und Architektenvereinigung lia tätig. Welche konkreten Aufgaben nimmt dieser Interessensverband wahr?

Die lia ist notwendig, um wichtige Themen und Belange unserer Branche gesellschaftlich und politisch einbringen zu können. Wenn etwa die Regierung ein neues Gesetz umsetzen will, das unsere Branche betrifft, dann haben wir als Verband die Möglichkeit, uns aktiv einzubringen. Und darüber hinaus können wir natürlich auch selbst Themen wie Nachhaltigkeit oder eben zirkuläres Bauen anstossen.

Was sind Deiner Meinung nach aktuell die grössten Herausforderungen, denen man sich im Bereich „Zirkuläres Bauen“ zu stellen hat?

Wir erleben leider häufig eine übermässige Bürokratie, die oft mehr verhindert als zulässt. Ein Beispiel dazu: Beim Strassenbau darf man derzeit nur 30 Prozent Altbelag in neuen Belägen wiederverwenden. Warum nicht wesentlich mehr? Leider gibt es da aktuell gesetzliche Normen und Hürden, die dem im Wege stehen. Aus meiner Sicht braucht es auf bürokratischer Seite mehr Beweglichkeit und auch Wille, damit Änderungen hin zu mehr zirkulärem Bauen auch tatsächlich wirksam werden. Ansonsten macht es irgendwann keinen Sinn, alte Gebäude so rückzubauen, dass wir zwar viel Materialien daraus wiederverwenden könnten, es aber in der Praxis nicht dürfen. Damit mehr zirkuläres Bauen möglich wird, müssen wirklich alle Beteiligten Anstrengungen unternehmen und ihren Beitrag leisten.

Welche Rolle spielen dabei die Planer:innen im Bauprozess?

Ich denke, wir Bauplaner:innen haben eine grosse Verantwortung. Letztlich können ja auch wir entscheidend mitbestimmen, mit welchen Produkten und Materialien etwas errichtet wird. Und am Ende des Tages haben auch wir es von der Planungsseite mit in der Hand, wo diese Materialien landen: in der Müllverbrennungsanlage, auf der Deponie oder eben in der Wiederverwendung.

Hast Du den Eindruck, dass sich die gesamte Baubranche in den letzten Jahren mehr in Richtung „Zirkuläres Bauen“ bewegt hat?

Ich denke schon. Man sieht ja allein im Rheintal, dass es hier mittlerweile einige Recyclinghöfe gibt, die es früher nicht gegeben hat. Der Rücklauf von recycelbarem Material hat sich eindeutig erhöht und speziell in der Schweiz ist man aktiv an Pilotprojekten und Untersuchungen dran, um etwa den Recycling-Anteil bei Strassenbauprojekten in Zukunft deutlich erhöhen zu können. Spürbar ist auch, dass die Bauunternehmen selbst deutlich innovativer geworden sind. Da tut sich schon einiges.

Wie beurteilst Du die diesbezüglichen Bemühungen in Liechtenstein?

Wir hätten hier im Land eine Riesenchance und viel Potential, weil unsere Wege in vielerlei Hinsicht kurz sind. Um diesen Vorteil auch zu nützen, braucht es aber ein eindeutiges politisches Commitment. Die Politik muss das wirklich wollen, nur so kommt diese Einstellung auch auf allen Ebenen der Verwaltung an. Ich bin optimistisch, dass dieser Prozess gerade angestossen wird.

Geografisch etwas weiter gefasst: Wie siehst Du die Situation und Rahmenbedingungen im Rheintal?

Die Voraussetzungen sind in unserer Region generell gut, weil sie im Vergleich zu anderen wirtschaftlich gut dasteht. Denn eines ist klar: Zirkuläres Bauen ist derzeit auch ein Kostenpunkt, weil es in der Regel zumindest aktuell sicher noch teurer als herkömmliche Bauweisen ist. Daher kann man zirkuläre Bauprojekte nur dort realisieren, wo auch die Finanzierbarkeit möglich ist. Genau deshalb wäre es so wichtig, dass es zu Initialzündungen und Pilotprojekten kommt, weil wir dringend Erfahrungswerte brauchen, damit zirkuläres Bauen letztlich auch kostendämpfend oder sogar kostensenkend möglich wird.

Wo liegen die Grenzen für zirkuläres Bauen?

Man muss realistisch bleiben. Man kann in der Praxis Gebäude nicht so bauen, dass man wirklich alle dabei verwendeten Materialien zu 100 Prozent wiederverwenden kann. Jedes Bauwerk bleibt letztlich ein Prototyp, sonst dürfte man nur mehr industrielle Serienprodukte errichten.

Ich bin in diesem Zusammenhang für ein grundlegendes Umdenken. Wir sollten die Lebensdauer von Bauten massiv erhöhen und auf 100 und mehr Jahre ausrichten. Dazu muss man sich natürlich über die dafür nötigen Gebäudestrukturen Gedanken machen, damit diese auch flexibel genutzt werden können. Eine möglichst lange Nutzungsdauer ist in meinen Augen auch in Bezug auf die Nachhaltigkeit wesentlich glaubwürdiger.

Zum Abschluss: Welche Rolle wird Deiner Meinung nach zirkuläres Bauen in der Zukunft spielen?

Ich bin mir sicher, dass bereits ein Umdenken stattgefunden hat und noch weiter stattfinden wird. Ich halte aber nichts davon, irgendwelche Jahreszahlen zu nennen, bis wann dies oder jenes erreicht werden soll. Solche Angaben sind letztlich immer nur vage Prognosen, die in den meisten Fällen nicht eingehalten werden.

Realistisch betrachtet glaube ich nicht, dass zirkuläres Bauen irgendwann Standard werden wird. Wir haben schon viel gewonnen, wenn sich selbst private Bauherr:innen bewusst werden, dass sie auch anders als bisher bauen können. Entscheidend dafür werden aus meiner Sicht möglichst viele Pilot- oder Vorzeigeprojekte sein, um die Menschen anhand von solchen konkreten Projekten für das Thema zu sensibilisieren. Wenn uns das gelingt, hat zirkuläres Bauen gute Chancen, sich langfristig in unserer Gesellschaft zu etablieren.