Interview mit Barbara Buser
- Datum
- 29. November 2023
Es braucht Mut zum Experiment.
Barbara Buser ist seit rund drei Jahrzehnten als unermüdliche Vordenkerin und Wegbereiterin in Sachen zirkuläre Bauwirtschaft tätig. Im folgenden Interview spricht die in Basel lebende Architektin unter anderem über ihre persönlichen Beweggründe, aktuelle Herausforderungen sowie auch die Chancen Liechtensteins, eine Vorreiterrolle auf diesem Gebiet übernehmen zu können.
Wann sind Sie dem „Zirkulären Bauen“ als Architektin das allererste Mal begegnet?
In Afrika. Ich war in Tansania an der Universität von Dar es Salaam unter anderem für die Abfallentsorgung verantwortlich und stellte zu meinem Erstaunen fest, dass es vor Ort gar kein Abfallproblem gab. Der Abfall der einen wurde von anderen als Rohstoff genutzt. Nichts ging verloren. Man nannte das damals in Tansania natürlich nicht zirkuläres Bauen, aber im Grunde genommen war es das: Rohstoffe, die man einmal der Natur entnommen hatte, wurden nicht einfach unkontrolliert vermischt und irgendwo deponiert, sondern immer wieder weiterverwendet.
Welchen Einfluss hatten diese Erfahrung und auch spätere berufliche Einsätze in Afrika auf Ihre persönliche Sicht- und Arbeitsweise?
Meine Einsätze in Afrika haben mein Denken nachhaltig geprägt. Wir in den Industrieländern leben in einer Überflussgesellschaft und unsere Wirtschaft produziert auf Hochtouren neue Gegenstände. Wir müssen daher ständig Platz für Neues machen, damit die Wirtschaft weiterwachsen kann. Das gilt praktisch für alle Wirtschaftsbereiche, auch für die Bauwirtschaft. Langsam gehen uns aber weltweit die Rohstoffe aus – sogar Sand wird vielerorts bereits zum knappen Gut. Zudem sind die Deponien voll. Wenn wir weiter produzieren wollen, müssen wir deshalb Kreisläufe etablieren und dürfen keine zusätzlichen neuen Rohstoffe mehr ausgraben und einsetzen. Nur so können wir auch das Deponieproblem entschärfen.
Was passiert denn aktuell in der Bauwirtschaft?
Leider das Gegenteil davon. Absurderweise überlegt man nur bei Provisorien, wie diese wieder demontiert und eventuell wiederverwendet werden können. Bei sogenannten „normalen Bauten“ hingegen wird mit einer Lebensdauer von 60 Jahren gerechnet, dann sind diese Bauten finanziell abgeschrieben. Sie haben in den Büchern der Gesellschaften also keinen finanziellen Wert mehr und können daher bedenkenlos abgerissen und durch „Ersatzneubauten“ ersetzt werden. Allein mit dem Rechenstift realisiert man eben nicht, dass diese physisch bereits vorhandenen Bauten gut erneuert und weitergenutzt werden könnten. Einzig bei unter Denkmalschutz stehenden Gebäuden besteht der Zwang, dass man sich Überlegungen in Richtung Renovieren, Sanieren und Weiternutzung machen muss.
Wie kann man in unseren Breiten sämtliche Akteur:innen – von der Baumaterialien produzierenden Industrie über die Baufirmen bis zu den Architekt:innen und Bauherr:innen – am besten davon überzeugen, das zirkuläres Bauen ein Gebot der Stunde und zukunftsweisend ist?
Meiner Meinung nach geht das nur durch gesetzliche Vorgaben. Für sämtliche Beteiligten sollten dieselben Regeln gelten, damit alle mit gleich langen Spiessen arbeiten. Wie die Entwicklung zeigt, funktionieren Selbstregulierung oder freiwilliger Verzicht einfach nicht.
Zudem ist es wichtig, das Wissen über die Endlichkeit der Rohstoffe – und die der Deponievolumen – stärker zu verbreiten sowie die Entwicklung neuer Baumaterialien aus erneuerbaren Rohstoffen voranzutreiben. Nur so werden wir überhaupt weiterhin neubauen können.
Wo muss derzeit am meisten Überzeugungsarbeit geleistet werden?
Praktisch überall: bei den Bauträgerschaften, den Architekt:innen, den Fachplaner:innen, den Unternehmer:innen, in den Schulen, den Universitäten, in der Politik – einfach überall gleichzeitig und sofort!
Wie wichtig sind aus Ihrer Erfahrung konkrete Projekte, um für eine zirkuläre Denk- und Handlungsweise nicht nur zu sensibilisieren, sondern diese letztlich auch nachhaltig in unserer Gesellschaft zu verankern?
Pilotprojekte sind extrem wichtig, sie stehen am Anfang jeder Veränderung. Sie fördern die Innovation und verhelfen zu neuen Erkenntnissen. Und sie zeigen, welche Ideen realisierbar sind und welche möglicherweise noch nicht. Nach einem erfolgreichen Pilotprojekt sollte rasch die Skalierung erfolgen, damit sich die Entwicklungsenergie und die Kosten für die Innovationen auch lohnen.
Sie sind unter anderem auch für den gemeinnützigen Verein RE-WIN tätig, der sich der Vermittlung und dem Verkauf von gebrauchten Bauteilen und Materialien widmet. Aktuell läuft über diesen Verein gerade ein Projekt, in dem nicht mehr benötigte, aber voll funktionstüchtige Fenster aus der Schweiz zum Wiederaufbau in die Ukraine geschickt werden. Wo liegen in diesem Projekt die grössten Herausforderungen?
Wir haben den Verein RE-WIN vor einem Jahr zu viert gegründet. Durch die Arbeit wird uns tagtäglich vor Augen geführt, wie viele Bauteile – nicht nur Fenster – in unserem Kulturkreis jeden Tag entsorgt werden, um Platz für das Neue, vermeintlich Bessere, zu machen.
Die Herausforderung im Verein liegt vor allem darin, dass wir alle freiwillig und ehrenamtlich arbeiten und für die Transporte von Spenden abhängig sind. Deshalb können wir nur einen Bruchteil der Fenster, geschweige denn andere Bauteile, die uns angeboten werden, annehmen und in die Ukraine transportieren. Und obwohl wir damit einerseits Menschen ja konkret helfen können, ist andererseits das Ausmass und die Menge an uns täglich angebotenen Bauteilen geradezu erschreckend.
Von der traurigen Gegenwart in der Ukraine ein grosser thematischer Sprung zurück zu den zukünftigen Herausforderungen in unseren Breiten: Welche konkreten Chancen sehen Sie für eine zirkuläre Bauwirtschaft in Liechtenstein?
Die Chancen sind gut, denn in Liechtenstein gibt es viel Bausubstanz und viele kluge Köpfe. Jetzt geht es darum, Rahmenbedingungen zu schaffen, dass die Wiederverwendung belohnt und die Entsorgung mit Echtkosten berechnet werden. Dazu braucht es politischen Mut, innovatives Denken und die Erkenntnis, dass es nicht wie im bisherigen Wirtschaftsstil weitergehen kann.
Bietet Liechtenstein dafür besonders geeignete Rahmenbedingungen? Wenn ja, warum?
Wo anders als in einem reichen Land können Experimente gewagt und Innovationen finanziert werden? Mit der hierzulande hohen Baukultur und der gut ausgebildeten Bevölkerung könnte Liechtenstein zur Vorreiterin für ein nachhaltiges, kreislaufmässiges Bauen werden. Zudem ermöglicht die kleinteilige Struktur des Landes kurze Entscheidungswege. Es braucht nur noch den Mut zum Experiment!
Eine persönliche Prognose zum Schluss: Wann wird das Thema „Zirkuläres Bauen“ nicht mehr aus unserem Wortschatz und unserer Einstellung wegzudenken sein?
Wenn wir die Klimaveränderung einigermassen unter Kontrolle halten wollen und die Erde auch für unsere Enkel noch bewohnbar bleiben soll, muss nicht nur zirkulär gebaut, sondern generell überall zirkulär gewirtschaftet werden. Das Thema Zirkularität sollte letztlich in allen wirtschaftlichen Bereichen und Tätigkeiten so selbstverständlich integriert sein, dass es gar nicht mehr speziell erwähnt werden müsste.
Barbara Buser
Barbara Buser (*1954) hat an der ETH Architektur sowie an der Fachhochschule Nordwestschweiz (FHNW) Energie studiert. Nach insgesamt zehn Jahren Arbeitseinsätzen in Afrika beschäftigt sie sich seit mittlerweile drei Jahrzehnten intensiv mit der Umnutzung von Gebäuden und der Wiederverwendung von Bauteilen. Im Zuge ihrer beruflichen Laufbahn war sie unter anderem an der Gründung von mehreren Firmen, Vereinen, Genossenschaften sowie Stiftungen beteiligt. Alle mit dem Ziel, gesellschaftliche Probleme mit konkreten Aktionen anzugehen sowie entsprechende Lösungen aufzuzeigen und zu entwickeln. Beispielhaft seien etwa das Baubüro in situ, die Denkstatt sàrl, der Verein Stellwerk, das Quartierzentrum Gundeldinger Feld oder die Kantensprung Stiftung erwähnt.
Dem Schwerpunkt „Zirkuläres Bauen“ widmet sich Barbara Buser aktuell unter anderem in dem von ihr mitgegründeten Verein RE-WIN sowie in ihrer Tätigkeit für das Fachplanungsbüro Zirkular.